„Heimat und Gewalt“: Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler diskutiert mit Studierenden der Sozialen Arbeit am Campus Benediktbeuern über seine neueste Publikation
KSH, C ampus Benediktbeuern,
Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler, der u. a. für die Fachberatung Heimatpflege im Kloster Benediktbeuern zuständig ist, gibt eine Buchreihe zum Thema „Heimat“ heraus, deren aktuell erschienener Band den Titel „Heimat und Gewalt“ trägt. Darin geht es um die Frage, warum beides mitunter miteinander eng verknüpft ist. Darüber sprach Göttler nun auch mit Studierenden des Vertiefungsbereichs Umwelt/Kultur/Medien und deren Professorin Annette Eberle.
Was ist eigentlich „Heimat“? Und warum ist Heimat mitunter mit Gewalt verknüpft? Darüber diskutierte der Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler mit Studierenden des Campus Benediktbeuern. Die Frage stellt sich für viele Studierende auf besondere Weise, wenn sie aus ganz Deutschland für ihr Studium an den Alpenrand nach Benediktbeuern kommen. „Ich frage mich schon, ob und wie ich Teil der Dorfgemeinschaft werden kann“, erzählte eine Studentin bei der Vorstellungsrunde und ein Kommilitone ergänzte: „Es ist nicht ganz einfach, integriert zu werden“.
Eigentlich wollte Annette Eberle mit dem Kurs an der von Göttler und der Akademie für Politische Bildung geplanten Tagung „Missbrauchte Heimat“ teilnehmen, aber nun musste coronabedingt eine abgespeckte Variante des Programms im Netz eine neue Heimat finden. Anlass war die Veröffentlichung des Bandes „Heimat und Gewalt“, den Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler herausgegeben hat, der im Übrigen nicht das erste Mal auf dem Campus eingeladen war – schließlich liegt die von ihm betreute Fachberatung Heimatpflege ebenfalls auf dem Klostergelände.
Göttler ist also ein absoluter Fachmann, wenn es um die kulturelle Identität in Bayern geht. Darin sieht er etwas ganz Besonderes, das er in dieser Ausprägung selten in anderen Bundesländern erlebt hat. Diesen Umstand führt er darauf zurück, dass Bayern seit dem 19. Jahrhundert zunehmend als touristisches Ziel entdeckt wurde und sich entsprechend mit bestimmten Bildern als Sehnsuchtsort zu positionieren begann. Seine Antwort auf die Frage der angehenden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, warum viele Menschen eine idyllisierte Sicht auf Heimat haben: „Das liegt vermutlich an der inneren Sehnsucht danach, sich einen kleinen heilen Kosmos zu schaffen und diesen in einer bestimmten Landschaft zu suchen“. Das Klischee ist im Gegensatz zur Idylle etwas, das Begriffe mit bestimmten Bildern verbindet, erläutert Göttler den Studierenden aus ganz verschiedenen Regionen weiter. „Allein schon so manche Tracht ist ein Konstrukt aus dem 19. Jahrhundert. Warum gerade in Bayern? Das hängt damit zusammen, dass das Alpenvorland seit dem 19. Jahrhundert Tourismusland ist, und für die sogenannte ‚Sommerfrische‘ wollten die Menschen damals schon genauso ein Klischee wie wir heute ja auch. Die Frage ist: wann muss man an den Klischees und an dem heimeligen Bayernbild rütteln?“ Die Antwort, die sich aus der Diskussion ergibt, hat auch viel mit den Lebenserfahrungen der Studierenden zu tun, die ja derzeit ebenfalls auf der Suche nach einer inneren, aber vor allem auch einer äußeren Heimat sind: „Es tut nicht gut, so ein Klischee zu leben. Man muss auch Bruchstellen zulassen. Wie in einer Partnerschaft hat auch Heimat ihre Schwachstellen, mit denen man umgehen muss.“
Eine solche Schwachstelle sieht Göttler in so manchen Bräuchen, die mitunter über die Stränge schlagen können wie etwa das Haberfeldtreiben: „Man tut dabei so, als würde man die Moral stärken, in Wirklichkeit will man Außenseiter stigmatisieren. Die Grenze zum ‚Sichlustigmachen‘ ist leicht überschritten – die Sensibilität dafür ist etwa bei Volksfesten oft nicht da.“ Göttler gibt zu bedenken, dass volkstümliche Varianten des Shitstorms viel zu wenig diskutiert werden – was er mit den Studierenden nun tut, die fragen, wer eigentlich bestimme, wann Heimat und Brauchtum schützenswert sind, und wer überhaupt definiert was das ist. Nun ist der promovierte Sozialhistoriker und Philosoph Göttler in seinem Element: „Man kann nicht einfach sagen, alles was so und so alt ist, ist schützenswert oder ab genau dann ist ein Brauch ein Brauch – das ist eine diffizile Angelegenheit.“ Und die soll nicht unbedingt nur im Wirtshaus am Stammtisch ausgehandelt werden. Er sieht ein Problem der letzten Jahre darin, dass zunehmend Rechtspopulisten den Heimatbegriff vereinnahmen – ein Problem, mit dem sich Heimatpfleger befassen müssen und gerne auch ver-stärkt Sozialpädagoginnen und -pädagogen.
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„Heimat und Gewalt“: Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler diskutiert mit Studierenden der Sozialen Arbeit am Campus Benediktbeuern über seine neueste Publikation
KSH, C ampus Benediktbeuern,
Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler, der u. a. für die Fachberatung Heimatpflege im Kloster Benediktbeuern zuständig ist, gibt eine Buchreihe zum Thema „Heimat“ heraus, deren aktuell erschienener Band den Titel „Heimat und Gewalt“ trägt. Darin geht es um die Frage, warum beides mitunter miteinander eng verknüpft ist. Darüber sprach Göttler nun auch mit Studierenden des Vertiefungsbereichs Umwelt/Kultur/Medien und deren Professorin Annette Eberle.
Was ist eigentlich „Heimat“? Und warum ist Heimat mitunter mit Gewalt verknüpft? Darüber diskutierte der Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler mit Studierenden des Campus Benediktbeuern. Die Frage stellt sich für viele Studierende auf besondere Weise, wenn sie aus ganz Deutschland für ihr Studium an den Alpenrand nach Benediktbeuern kommen. „Ich frage mich schon, ob und wie ich Teil der Dorfgemeinschaft werden kann“, erzählte eine Studentin bei der Vorstellungsrunde und ein Kommilitone ergänzte: „Es ist nicht ganz einfach, integriert zu werden“.
Eigentlich wollte Annette Eberle mit dem Kurs an der von Göttler und der Akademie für Politische Bildung geplanten Tagung „Missbrauchte Heimat“ teilnehmen, aber nun musste coronabedingt eine abgespeckte Variante des Programms im Netz eine neue Heimat finden. Anlass war die Veröffentlichung des Bandes „Heimat und Gewalt“, den Bezirksheimatpfleger Norbert Göttler herausgegeben hat, der im Übrigen nicht das erste Mal auf dem Campus eingeladen war – schließlich liegt die von ihm betreute Fachberatung Heimatpflege ebenfalls auf dem Klostergelände.
Göttler ist also ein absoluter Fachmann, wenn es um die kulturelle Identität in Bayern geht. Darin sieht er etwas ganz Besonderes, das er in dieser Ausprägung selten in anderen Bundesländern erlebt hat. Diesen Umstand führt er darauf zurück, dass Bayern seit dem 19. Jahrhundert zunehmend als touristisches Ziel entdeckt wurde und sich entsprechend mit bestimmten Bildern als Sehnsuchtsort zu positionieren begann. Seine Antwort auf die Frage der angehenden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, warum viele Menschen eine idyllisierte Sicht auf Heimat haben: „Das liegt vermutlich an der inneren Sehnsucht danach, sich einen kleinen heilen Kosmos zu schaffen und diesen in einer bestimmten Landschaft zu suchen“. Das Klischee ist im Gegensatz zur Idylle etwas, das Begriffe mit bestimmten Bildern verbindet, erläutert Göttler den Studierenden aus ganz verschiedenen Regionen weiter. „Allein schon so manche Tracht ist ein Konstrukt aus dem 19. Jahrhundert. Warum gerade in Bayern? Das hängt damit zusammen, dass das Alpenvorland seit dem 19. Jahrhundert Tourismusland ist, und für die sogenannte ‚Sommerfrische‘ wollten die Menschen damals schon genauso ein Klischee wie wir heute ja auch. Die Frage ist: wann muss man an den Klischees und an dem heimeligen Bayernbild rütteln?“ Die Antwort, die sich aus der Diskussion ergibt, hat auch viel mit den Lebenserfahrungen der Studierenden zu tun, die ja derzeit ebenfalls auf der Suche nach einer inneren, aber vor allem auch einer äußeren Heimat sind: „Es tut nicht gut, so ein Klischee zu leben. Man muss auch Bruchstellen zulassen. Wie in einer Partnerschaft hat auch Heimat ihre Schwachstellen, mit denen man umgehen muss.“
Eine solche Schwachstelle sieht Göttler in so manchen Bräuchen, die mitunter über die Stränge schlagen können wie etwa das Haberfeldtreiben: „Man tut dabei so, als würde man die Moral stärken, in Wirklichkeit will man Außenseiter stigmatisieren. Die Grenze zum ‚Sichlustigmachen‘ ist leicht überschritten – die Sensibilität dafür ist etwa bei Volksfesten oft nicht da.“ Göttler gibt zu bedenken, dass volkstümliche Varianten des Shitstorms viel zu wenig diskutiert werden – was er mit den Studierenden nun tut, die fragen, wer eigentlich bestimme, wann Heimat und Brauchtum schützenswert sind, und wer überhaupt definiert was das ist. Nun ist der promovierte Sozialhistoriker und Philosoph Göttler in seinem Element: „Man kann nicht einfach sagen, alles was so und so alt ist, ist schützenswert oder ab genau dann ist ein Brauch ein Brauch – das ist eine diffizile Angelegenheit.“ Und die soll nicht unbedingt nur im Wirtshaus am Stammtisch ausgehandelt werden. Er sieht ein Problem der letzten Jahre darin, dass zunehmend Rechtspopulisten den Heimatbegriff vereinnahmen – ein Problem, mit dem sich Heimatpfleger befassen müssen und gerne auch ver-stärkt Sozialpädagoginnen und -pädagogen.
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